Mit dem Rad nach Zwickau:
Meine alljährliche Sachsen-Radtour führte mich in diesem Jahr von Brome/Niedersachsen nach Zwickau/Sachsen. Ich war erfreut, dass mein Schwager Horst Kremmeicke mich begleitet hatte. Also starteten wir am Mittwoch, 14.08.2002, um 7.00 Uhr in Brome. Von Oebisfelde hatte uns die Bundesbahn dann bis nach Dessau gebracht. Uns war inzwischen bewusst, dass wir die ursprünglich geplante "Tour entlang der Mulde" so nicht werden durchführen können, denn auch die Flüsse Sachsens waren durch sintflutartige Regenfälle unberechenbar geworden, und in vielen Gebieten war der Katastrophenalarm ausgelöst worden.
Etwa 11.00 Uhr erreichten wir die sachsenanhaltinische Stadt Dessau. Hier mündet die Mulde in die Elbe, und schon vom Zug aus sahen wir Unmengen von Wasser. Eine Flutwelle der Mulde wurde erwartet. Die Stadt schien aber gut vorbereitet. Viele Helfer waren im Einsatz und sicherten die Dämme.
Der "Fürst-Franz-Radweg" und auch der Mulde-Radweg durch Dessau-Wasserstadt waren schon gesperrt, hier gab es kein Durchkommen mehr. Auf einer Muldebrücke sahen wir viele Schaulustige. Wir spürten die angespannte Stimmung zwischen den Zuschauern und den Akteuren und wollten nicht dazugehören. So entschlossen wir uns, die Mulde weiträumig zu umfahren. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass wir bereits zwischen Elbe und Mulde eingeschlossen waren. Es gab für uns keine Möglichkeit mehr, dem Geschehen zu entrinnen. Unser kleiner Weltempfänger versorgte uns mit allen Nachrichten über diese Jahrhundertflut. Die Ereignisse in Dresden und Grimma machten uns dann sehr betroffen. Nach über 100 Tageskilometern kamen wir um 17.00 Uhr nach Bad Düben. Einige Straßenzüge standen unter Wasser, und wir konnten das "Hotel National" nur auf Umwegen erreichen. Das Hotel lag nahe der Mulde, und vom Zimmer aus sahen wir auf die überspülten Hintergärten. Der Hoteleigentümer, Peter Gleissner, nahm uns sehr freundlich auf. Mit seinem Sohn Tim und dem Pegelmeister, Karl-Heinz Kühnel, durften wir zur Pegelstandsmessung mit vorgehen auf die ansonsten für jeglichen Verkehr gesperrte Muldebrücke. Diese Brücke ist die direkte Verbindung von Bad Düben nach Bitterfeld. Glücklicherweise war das Wasser um 18.00 Uhr vom Höchststand 8,70 Meter auf 8,15 Meter gesunken. Etwas Erleichterung kam auf, und es wurde Zeit, auf Empfehlung der Küche in der Gaststube eine sogenannte "Napoleon-Schnitte" bei einem Schwarzbier einzunehmen. Ein sehr schmackhaftes Abendbrot mit allerlei Wurst, Käse, Ei und Salat und alles fein auf einem Teller serviert. Allerdings war die Hotelküche für den normalen Restaurantbetrieb wegen des Hochwassers geschlossen, konnte doch der Koch das Hotel nicht erreichen. So wurde kurzerhand aus der Not sehr eindrucksvoll eine Tugend gemacht.
Vom Hotelchef erfuhren wir, dass schon Napoleon in seinem Gasthaus verweilte. An vielen Stellen wird das durch Bilder und Büsten sehr eindrucksvoll untermalt. Interessant auch die Tatsache, dass Bad Düben Handlungsort des Kleist-Rebellen Michael Kohlhaas war. Wir fühlten uns in eine andere Zeit versetzt und lauschten aufmerksam den Erzählungen unseres Wirtes und Kapitäns, denn sein "Schiff" sollte an diesem Abend noch weitere Personen an Bord nehmen. Heiderose und Rolf Hoffmann aus dem nahen Gruna hatte die Muldeflut Alles genommen. Das Wohnhaus nahe der Mulde stand vollkommen im Wasser, und der gesamte Hausrat war verloren. Wir machten uns bekannt und versuchten, uns in die Situation der Betroffenen zu versetzen. Helfen konnten wir nicht, dass Wasser hatte ja noch alles fest im Griff. Noch zwei weitere Ehepaare, Bungert und Schimmel, hatte der Hotelier an diesem Abend kostenlos aufgenommen. Alle hatten nur noch sich selbst, und das was sie an Kleidung trugen, retten können. Wir saßen gesellig zusammen und brachten die Betroffenen für einige Zeit auf andere Gedanken.
Am nächsten Tag, nach dem Frühstück, übergaben wir aus unserer Ausrüstung noch einige Kleidungsstücke, denn es fehlte an Allem.

Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken

Am Donnerstag, 15.08.2002, 10.00 Uhr, fuhren wir weiter. Wir waren nun auf der Suche nach einer Möglichkeit, die Mulde nach Westen zu überqueren. Unser Tourziel Zwickau hatten wir zu diesem Zeitpunkt aus den Augen verloren. Sollten wir über die Mulde kommen, wollten wir über Leipzig zurück in die Heimat. Um 11.00 Uhr standen wir hinter Eilenburg vor einer überfluteten Straße. Ein UPS-Paketdienst-Fahrzeug stand mit geöffneter Rücktür vor dem Wasser. Der Fahrer hatte bereits einige Male diese Stelle überquert. Das Wasser würde hier etwa 25 cm hoch stehen, sagte er und bot an, uns mit unseren Rädern hinüber zu bringen. Glück im Unglück. Wir bedankten uns mit einem kleinen Trinkgeld für diese gute Tat. Kurze Zeit später trafen wir auf einen Streifenwagen der Polizei. Wir berichteten den Beamten über die Möglichkeit, die Straße wie das UPS-Fahrzeug zu queren. Auf unsere Frage: "Wo und wie könnten wir denn über die Mulde kommen", hatte Polizeihauptmeister Kruppe eine überraschende Antwort. "Gleich bei Wurzen!" Die Brücke war für den Allgemeinverkehr zwar weiterhin gesperrt aber wir sollten nur sagen, dass Kruppe das erlaubt hätte. Ich war doch etwas skeptisch und bat ihn, uns doch eine schriftliche Fahrgenehmigung zu erteilen, was er auch tat. Eine nette Geste von unserem Freund und Helfer, der Polizei. Amüsant auch der Hinweis des Polizeihauptmeisters Kruppe auf seinen Namen: "Krupp hat das Geld, und ich habe das e". Tatsächlich half uns die Fahrgenehmigung, um 12.30 Uhr die Brücke in Wurzen nach Bennewitz zu überqueren. Das Wasser war hier bereits zurückgegangen und die Zerstörung von Haus und Straßen konnten wir nun hautnah erleben. In Bennewitz waren viele Helfer im Reinigungs- und Aufräumeinsatz. Autos im Wasser, unterspülte Straßen, abgesackte Gehwege und überall noch Schlamm, Geröll und, vor allem, der Geruch von Heizoel. Wann wird hier wohl das alltägliche Leben zurückkehren können, fragten wir uns.
Befreit von der Elbe- und Mulde-Umzingelung, nahmen wir unser Ziel, Zwickau zu erreichen, wieder auf. Übernachtet wurde in Trebsen an der Mulde im "Hotel Schlossblick" nach einer Tagestour von 70 km. In Trebsen konnte ich dann noch einige Lücken zur Familienforschung Sarfert schließen. Der Name Wiede (Frau Else Wiede hat die Stammtafel der Familie Sarfert bis 1924 erstellt und als Buch veröffentlicht) ist dort noch allgegenwärtig. Eine alte Papierfabrik, früher über 1000 und heute noch etwa 30 Arbeitnehmer, eine wunderschöne Sportanlage, Glasfenster in der Kirche und eine monumentale Grabanlage weisen heute noch auf Wiede hin. Auf dem Friedhof fand 1937 nur Johannes Wiede seine letzte Ruhestätte. Aller Wiede-Besitz wurde nach 1945 enteignet, und Else Wiede von den Russen nach Halle vertrieben. Sie soll später in Bad Tölz verstorben sein. Pfarrer i.R. Schormann berichtete uns, dass 1973 von dort ein Antrag auf Umbettung der Verstorbenen neben ihrem Mann auf dem Friedhof in Trebsen gestellt wurde. Die damalige Stadtverwaltung hat diesen Antrag damals abgelehnt. Die Grabstelle der Verstorbenen bleibt also weiterhin unbekannt. Interessant sind auch die großen Glasfenster in der Kirche zu Trebsen, welche die Fabrikantenfamilie Wiede (Anton Wiede und Ehefrau Friederike geb. Sarfert) zeigen. Auch das alte Adelsgeschlecht derer von Schulenburg aus der Altmarkt hatte dort seine Spuren hinterlassen. Auf Grabplatten, die in der Kirche stehen, ist der Name noch sichtbar.
Ein interessanter Tag endete mit einem gut bürgerlichen Essen in der Gastwirtschaft zum Anker am Marktplatz des Ortes.

Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken

Freitag, 16.08.2002, etwa 8.30 Uhr, ging es weiter Richtung Bad Lausick. Um 9.15 Uhr erreichten wir Grimma. Eine einzige Katastrophe. Die Stadt noch immer ohne Strom. Es bedurfte großer Vorstellungskraft, ob hier jemals wieder eine so zauberhaft restaurierte Altstadt entstehen kann. In Bad Lausick traf ich unbekannter Weise auf meinen Großcousin, Wolfgang Loth. Wir erzählten eine ganze Weile und waren über unsere neue Bekanntschaft hocherfreut. Wolfgang betreibt ein kleines Einzelhandelsgeschäft für Modellbahnbau und Fahrradzubehör. Die wirtschaftliche Lage in Bad Lausick ist nicht rosig. Noch in diesem Jahr würden 5 Geschäfte schließen. So hatte sich keiner den "Aufbau Ost" vorgestellt und nun noch die Auswirkungen der Jahrhundertflut. "Man wird sich wohl selber helfen müssen", meinte Wolfgang. Auf die große Politik scheint hier keiner zu vertrauen.
Um 12.00 Uhr fuhren wir im Eulatal durch einen schönen Buchenwald. Die Höhen von Kohren Sahlis machten uns dann ganz schön zu schaffen. Um 13.30 Uhr nahmen wir dort unser Mittagessen gut und preiswert an einem Fleischereiimbiss ein. Die Pausen wurden nun häufiger und länger. Auch der Getränkevorrat wurde häufiger aufgefüllt. Beeindruckend eine 17 Meter hohe und 330 Meter langes Eisenbahnviadukt aus dem vorigen Jahrhundert. Eigentlich wollten wir in Waldenburg Quartier nehmen, doch ein Hotelzimmer war nicht zu bekommen. So fuhren wir weiter nach Glauchau und entschlossen uns dort, nun auch noch die Reststrecke bis nach Zwickau durch zu fahren. Hier konnten wir den Fahrradweg entlang der Mulde weitestgehend nutzen. 3 km vor dem Zentrum von Zwickau stießen wir auf eine gefährliche Stelle im Muldendamm. Hier wurde der Damm bis auf wenige Meter weggespült, die Stadt war gerade noch einmal einer Katastrophe entkommen. Die Stelle war nur notdürftig repariert.
Um 20.00 Uhr erreichten wir nach etwas mehr als 100 km Tagesstrecke das Hotel am Kornmarkt in Zwickau. Geschafft aber zufrieden liessen wir den Tag rund um den Zwickauer Dom ausklingen.

Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken

Am Samstag, 17.08.2002, beschlossen wir, nach einer Besichtigungsfahrt durch Zwickau und anschließendem Besuch einiger Familienstätten in der Umgebung von Bockwa, die Rückfahrt anzutreten. Ich war erfreut, dass Bockwa, der Ort des Ursprungs unserer Familie, vom Hochwasser verschont blieb.Wir hörten auch, dass es immer unsicherer würde, noch direkte Bahnverbindungen in die Heimat zu bekommen. Auf dem Bahnhof in Zwickau war das komplette Buchungssystem ausgefallen. Ob wir über Magdeburg HBF fahren konnten, war bis dahin unklar.
Um 13.29 Uhr fuhren wir mit dem Regionalexpress von Zwickau nach Leipzig. Weiter nach Halle, Sandersleben, Magdeburg und Oebisfelde, wo wir 19.47 Uhr ankamen.
Den Rest der Strecke wieder mit dem Rad. Um 21.15 Uhr erreichten wir glücklich und zufrieden den Ausgangspunkt Brome nach 45 km Tageskilometer. In 4 Tagen kamen wir durch 4 Bundesländer, fuhren insgesamt 320 Kilometer, hatten unzählig viele Erlebnisse. Doch mit unseren Gedanken waren wir bei den Menschen in Sachsen, insbesondere bei denen, die wir direkt kennen gelernt hatten, die jetzt, nach Weggang des Wassers, dringend unsere Hilfe benötigen werden und wir versprachen, dass wir sie leisten würden.

Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken Zur Großbildansicht bitte hier klicken
Zurück